Erdschlussortung nach dem Oberschwingungsverfahren (Teil 2)

Info-Brief Nr. 15

Verwendung der Oberschwingungsspannung für die Erdschlusserfassung

Für die Untersuchung des Verhaltens der Oberschwingungsströme und -spannungen im gelöschten Netz kann in erster Näherung das gelöschte Netz als isoliertes Netz betrachtet werden.

Ersatzschaltbild für ein isoliertes Netz mit einem Erdschluss in Leiter 1 des Abganges A

Begründung

Die Reaktanz der Petersenspule XP = ωLP steigt proportional mit der betrachteten Oberschwingungsfrequenz z.B. ist die Reaktanz der Petersenspule für die 5. Oberschwingung (250 Hz 5 mal so hoch wie für die Grundschwingung (50 Hz). Andererseits ist die Reaktanz

X_{CE} = \frac{1}{ωC_{xE}}

des Leiters gegen Erde verkehrt proportional zur Frequenz der Oberschwingung d.h. die Reaktanz der 5. Oberschwingung beträgt nur 1/5 der Reaktanz der Grundschwingung. Dies bedeutet, dass der kapazitive Strom gegen Erde bei einer gleichen Spannungsamplitude der Oberschwingung am Eingang proportional mit der Frequenz der Oberschwingungsfrequenz ansteigt d.h. der Strom der 5. Oberschwingung ist 5 mal so groß wie der Strom der Grundschwingung.

Auswertung der Blindleistungsrichtung der Oberschwingungen

Beim ersten Verfahren wird für die Erkennung des erdschlussbehafteten Abganges nur ein Richtungsentscheid verwendet, d.h. es wird nur zwischen einem kapazitiven Strom und einem induktiven Strom unterschieden. Die Anforderung an die Winkeltreue des Stromwandlers ist somit wesentlich geringer. Amplitudenfehler der Wandler wirken sich hingegen nur auf die Auslöseschwelle aus. Im folgenden Bild ist die Auslösekennlinien des Oberschwingungsverfahren der Auslösekennlinie des wattmetrischen Verfahrens gegenübergestellt.

Gegenüberstellung der Auslösenkennlinien

Beim wattmetrischen Verfahren wird der Wirkstrom aus der Projektion des Nullstromes auf die Verlagerungsspannung UNE ermittelt. Bei großen kapazitiven Abgängen füh­ren Winkelfehler zwischen der Strom- und der Spanungsmessung zu großen „scheinbaren Wirkströmen“. Diese „scheinbaren Wirkströme“ addieren sich zu dem tatsäch­lichen Wirkstrom im jeweiligen Abgang und können die­sen vergrößern oder verkleinern. Dies kann sowohl zu einer Über- als auch zu einer Unteranregung des Relais führen.

Hingegen ist die Bewertung der Oberschwingungsströme wesentlich unkritischer und kann auf einen einfachen Richtungsentscheid der Oberschwingungsströme redu­ziert werden.

Vergleichende Auswertung

Beim zweiten Verfahren wird die Amplitude des Oberschwingungsstromes ausgewertet. Dabei ist es wichtig, dass ein Vergleich der Oberschwingungsströme der ein­zelnen Abgänge durchgeführt wird und jener Abgang mit dem relativ größten Oberschwingungsanteil gesucht wird. Dieser Abgang wird als erdschlussbehaftet erkannt.

Hingegen ist die Bewertung der Oberschwingungsströme wesentlich unkritischer und kann auf einen einfachen Richtungsentscheid der Oberschwingungsströme reduziert werden.

Vergleichende Auswertung der 250 Hz Ströme

Würde hingegen nur der Betrag des Oberschwingungsstromes ausgewertet werden, so würde es zu tageszeitlichen Unter- bzw. Überfunktionen des Relais kommen. Wie im Info-Brief 15 (Teil 1) gezeigt wurde ist die Oberschwingungsspannung sehr stark vom Oberschwingungsstrom in der Last abhängig. Die Hauptverursacher für Oberschwingungsströme sind Gleichrichterschaltungen, wie sie in Frequenzumrichtern für elektrische Antriebe bzw. in Fernsehgeräten, PC’s usw. verwendet werden. Hinzu kommen natürlich auch die nichtlinearen Magnetisierungsströme von Transformatoren, die auch bei Leer­lauf der Transformatoren fließen. Aus der Struktur der Verbraucher kann geschlossen werden, dass der Oberschwingungsanteil sowohl einem Tages- als auch einem Wochenverlauf unterliegt. Frequenzumrichter für Antrie­be sind hauptsächlich während der Tageszeit in Verwen­dung, während Fernsehgeräte eher am Abend eingeschal­tet sind. Niedrigste Werte für die Oberschwingungsspannung sind daher am Wochenende und in der zweiten Hälfte der Nacht zu erwarten. Aber auch auf Grund der erwähnten Magnetisierungsströme gehen die Oberschwingungsströme nie auf Null.

Auf Grund dieser zeitlichen Abhängigkeit der Oberschwingungsspannungen kann ein absoluter Ansprechwert für den Oberschwingungsstrom für die Erkennung eines erdschlussbehafteten Abganges nicht erfolgreich sein. Eine vergleichende Auswertung der Oberschwingungsströme der einzelnen Abgänge hingegen eliminiert die zeitliche Abhängigkeit, da nur der relativ größte Oberschwingungsstrom angezeigt wird.

Ein Vorteil dieses Verfahrens ist, dass auf die Richtung der angeschlossenen Stromwandler nicht geachtet werden muss Es werden jedoch mindestens drei Abgänge benötigt, wobei in diesem Fall der kürzeste Abgang mindest 5% des Gesamtnetzes sein sollte, um eine eindeutige Unterscheidung treffen zu können. Für beide Auswerteverfahren ist es wichtig, dass ein möglichst großes gesundes Netz (Abgang B und C in Bild 4) verfügbar ist. Aus Bild 4 ist erkennbar, dass eigentlich jener Strom gemessen wird, der über die Leiter-Erde Kapazitäten der gesunden Abgänge abfließt. Der kapazitive Strom des erdschlussbehafteten Abganges trägt nichts zur Auswertung bei.

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